„... aber ich“

ein Liederzyklus für Sopran, Tenor, gemischten Chor und Orchester nach Gedichten von Berthold Viertel und nach Musik von Franz Schubert mit der abschließenden Vertonung seiner Erzählung „Mein Traum“

von Reinhard Fehling

 

1. Zum Konzept

„...aber ich“ – das sind die letzten beiden Worte der Traumerzählung von Franz Schubert, die er am 3. Juli 1822, mitten in der Arbeit an der „Unvollendeten“, niederschrieb. Sie gilt als Schlüsseltext zu Schuberts Leben und Werk und gerade hinsichtlich der „Unvollendeten“ reklamierten Musikforscher und Dirigenten immer wieder ihre Deutungskraft, indem sie gar bestimmte Textpassagen bestimmten Stellen in den beiden Sinfoniesätzen zuordneten.

Dieser Interpretationsansatz hat manches für sich, denn auffällig gefühlsverwandt sind Worte und Töne. Allerdings hat nicht diese Übereinstimmung mich zu meiner Komposition bestimmt, sondern eher die in der Traumerzählung selber angedeutete Auseinandersetzung des Individuums mit den Zumutungen der Umwelt. Die Wendung „aber ich“ oder ihre Umkehrung „ich aber“, die im Text wiederholt auftaucht, beinhaltet den Einspruch des Individuums gegen den Anspruch von Autoritäten, sei es wie im Schubertschen Fall der Vater oder im Falle Viertels ein im Zeichen des Faschismus aus den Fugen geratendes Staatswesen. Die Aufkündigung des Einverständnisses führt in beiden Fällen zur Vertreibung: aus dem Vaterhaus bei dem einen, aus dem Vaterland bei dem anderen. Schubert findet sich mitten in Wien draußen und Viertel strandet weit draußen überm Meer, mitten in New York, wo ihn die Erkenntnis schwindlig macht: „Wir haben den Weg verloren, den wir begannen als Kind“.

Von dieser Bilanz geht meine Musik aus. Sie beschreibt – nach den Schlussakkorden des 1. Satzes der „Unvollendeten“ und diese direkt, aber harmonisch verschärft im vollen Orchestersatz aufgreifend - in sieben Gesängen bzw. vier exemplarischen Stufen einen Lebensgang rückwärts und folgt damit der Bewegung, die Schubert in der Traumerzählung vorgibt.

Der erste Teil setzt auf die Kraft des Chores, in dem sich Individualitäten mischen und doch kenntlich bleiben, und der damit das individuell Schicksalhafte ins allgemein Betreffende zu weiten vermag. Nach dem Gefühl des Verloren-Seins („Lebensgang - Wir“) blühen Momente flüchtigen, aber selbstbestimmten Glücks auf („An der Ausgestoßenen Tisch“, „Der Wolken Sage“), ehe aus der Heimat herüber dringender Kriegslärm von der Vernichtung aller Werte und dem Versuch der Ausmerzung des Humanen kündet („In Schritt und Tritt“). Doch trotz der entfesselten Gewalt, die immer wieder und auf wechselnde Arten die zarte Pflanze der Menschlichkeit nieder tritt, trotz des herrischen Hasses: die beiden Schlusstakte lassen, bedroht und zerbrechlich zwar, aber doch unmissverständlich der Liebe das letzte Wort.

Der zweite Teil des Zyklus beginnt in dieser anderen Welt. Töne aus dem Kinderland („Tränen“ und „Geschlossene Augen“) klingen auf, aus einer Zeit, die  ohne Fragen Behausung und Wärme gab, die nicht schmerzlos, aber niemals trostlos war. Hier treten die Solostimmen Sopran und Tenor in den Vordergrund, nicht gegeneinander gestellt, sondern als zwei Seiten des einen menschlichen Wesens. Sie haben alle Zeit der Welt, uns in weichem Fluss zurück zu führen – zu unseren Anfängen.

Der Erzählfaden des zweiten Satzes der „Unvollendeten“ – vorsichtig beginnend und so auch wieder endend – wird schließlich in der Vertonung von „Mein Traum“ fortgesponnen. Wie in einer Zusammenfassung klingen nun Motive aus sämtlichen voran gegangenen Gesängen wieder auf. Hier wie im gesamten Zyklus, versuche ich die Geschichte zu erzählen, die für mich zwischen und hinter den Sätzen der „Unvollendeten“ liegt. Eine Geschichte, die auf Versöhnung und Liebe zielt, als deren Kulminationspunkt mit einem Mal unter heißen Tränen als Vorschein eines paradiesischen Ur- oder Endzustands unendlich tief und unendlich kurz das bis dahin Unnennbare aufsteigt: „Die ewige Seligkeit wie in einem Augenblick zusammengedrängt“.

 

2. Zur Musik

Dass dieses Erzählen mit Schuberts Hilfe geschieht, ist offenkundig und zeigt sich neben einem summarischen Bezug auf seine „Unvollendete“, wie im Einzelnen auf thematisch verwandte Lieder aus seiner „Winterreise“ (sie sind bei den entsprechenden Gesängen vermerkt). Solche Bezüge sind in der Regel keine blanken Zitate, sondern oft sogar eine Ummünzung ihrer ursprünglichen Semantik. Zu erkennen ist, wie wenig es bedarf, dass Leichtigkeit in Schwere, Liebe in Hass, Gut in Böse umschlägt (das alles natürlich auch in umgekehrter Richtung),  weil beides – bei Tönen wie bei Menschen - aus demselben Stoff ist. So gehen melodische oder harmonische Eigenheiten, charakteristische Figuren oder markante Wendungen Schuberts fast von alleine in einem neuen Zusammenhang auf, der sein Ziel findet, wenn sich im Schluss-Stück das durch Schuberts Musik angeregte neue Material zur – so weit ich sehe - ersten Vertonung seiner Erzählung „Mein Traum“ fügt.

Meine Musik ist tonal und auf das Liedhafte bezogen. Sie ignoriert nicht, dass, was Stimme und Sprache verschlagen kann, nicht erst seit heute überhand nimmt. Sie verweigert sich der Beschönigung und ist doch getragen von der Sehnsucht nach dem Schönen. Sie besteht darauf, zu singen und zu sagen, um Erfahrungen aufzubewahren und weiter zu geben, sie ist aber auch unwillkürlich vorhanden, weil Singen und Sagen – wie Atmen - zum Leben gehört. 

Die Musik ist himmelweit von dem entfernt, was heute als Avantgarde gilt. Sie ist hinsichtlich aktueller Trends geradezu unbekümmert. Sie ist retrospektiv, weil sie in der Vergangenheit viel Unerledigtes und Unbereinigtes erkennt, schaut aber – Arm in Arm mit der unausrottbaren Hoffnung – nach vorn. Sie will nicht durch eine glänzende Oberfläche überrumpeln; sie versenkt, was ihr am wichtigsten ist, in die Struktur und hofft auf den zweiten Blick. Dabei ist sie keine Geheimschrift für Eingeweihte. Sie zeigt sich zugänglich wie Straßen und Plätze, deren Ton sie kennt und aufnimmt: Volks- oder Populärmusikalisches, auch politisch Aktivierendes (Eisler, der dritte Wiener und Exilant lässt grüßen!) und manches, was sonst noch am Herzen und am Wege liegt: Kulturgut und Strandgut, das Pathos großer Visionen und die Poesie des Alltags.

Wenn nach Schubladen gefragt wird, unter denen sie abzulegen ist, muss Fehlanzeige gemeldet werden. Zu bekennen ist lediglich, dass sie der Frage, die Schubert am Ende der „Winterreise“ dem Leiermann stellt, ein Echo geben möchte: „Will zu deinen Liedern meine Leier drehn!“.

 

3. Zu den Mitwirkenden

 
a) Franz Schubert       

 

Mit dieser Frage, die am Ende der „Winterreise“ unbeantwortet bleibt, tut der Wanderer kund, dass er noch im Moment letzten Verlassenseins hofft, ein Mensch aus Fleisch und Blut und nicht der Schatten des Mondes zöge als sein „Gefährte mit“. Zwar hat Schubert Zeit seines Lebens vielerlei Gefährten gehabt (und er muss später so sehr der Mittelpunkt ihrer Zusammenkünfte gewesen sein, dass sich für sie der Name „Schubertiaden“ einbürgerte), die ihn – selbst  Maler, Schriftsteller und Musiker oder einfach nur Kunstsinnige und Lebensfrohe -  als Menschen und Künstler anerkannten, sich womöglich als gleich gesinnt verstanden, und doch verdichtete sich in ihm ein Gefühl, das er im Jahre 1824 seinem Tagebuch anvertraut: „Man glaubt immer zueinander zu gehen, und man geht immer nur neben einander her“.

Mehr als unverstanden: Verkannt, „fremd“ und wohl auch ausgestoßen empfand sich Franz Schubert aber in der moralischen Enge und der politischen Kälte im Wien Metternichs nach 1815. Er litt unter dieser regressiven und repressiven Zeit, von der er sagte, dass sie ihn „thatlos... zerstäubet“ und „Großes zu vollbringen wehrt“. Öffentliche Resonanz fand er wenig, hauptsächlich als Komponist von Liedern, einer allerdings wenig repräsentativen Gattung. Die groß dimensionierten Werke, mit denen er durchdringen wollte, und auf die er die meiste Zeit und Energie verwandte, die Opern, Sinfonien und Messen, wurden zu seinen Lebzeiten kaum aufgeführt. Und doch ist die bittere Dialektik nicht zu verkennen, dass es nicht zuletzt diese Zeit mit ihren Bedrückungen war, die ihm jenen Ton des Schmerzes und der Sehnsucht, des Verlustes und der Verlorenheit abrang, der ihn einzigartig machte.

Manches seiner Werke blieb unvollendet, nicht nur seine berühmteste Sinfonie. Selbst sein Lebensfaden riss so früh, dass Grillparzer für die ihm Zugeneigten in seiner  Grabrede den Satz vom „schönen Besitz und den noch schöneren Hoffnungen“ prägen konnte. Es ist müßig zu spekulieren, was Schubert geschaffen hätte, wenn ihm ein längeres Leben vergönnt gewesen wäre. Sein vorliegendes Werk ist schon so riesig. Bemerkenswert ist, dass das Fragmentarische bei ihm nicht zwangsläufig als Misslingen erscheint, sondern als Resultat eines Lebensgefühls, das den Riss reflektiert, der durch die Zeit geht. Es ist ein eminent modernes Gefühl und so gesehen – auch das ist Teil der oben angesprochenen Dialektik – ist es Ursache für einen nicht unwesentlichen Teil seines bleibenden Ruhmes.

 

b) Berthold Viertel

Berthold Viertel (1885-1953) dessen Biographie „abriss, kaum dass sie noch begonnen hatte“. wuchs er in Wien auf. Er entstammte aber – als Sohn jüdischer Eltern galizischer Herkunft - nicht dem österreichischen Milieu, saugte es dennoch umso intensiver und nachhaltiger ein. Im Umfeld von Karl Kraus und Victor Adler begann er früh als Lyriker, sowie als Regisseur an bedeutenden Bühnen (Dresden, Düsseldorf) und Leiter freier Theaterensembles. Parallel dazu produzierte er Filme, seit 1928 in Hollywood. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland erlebte er den Machtantritt Hitlers in Berlin. Sein Weg ins Exil führte ihn über Prag, Wien und Paris nach London, wo er seine letzten drei Filme für Gaumont British drehte. Ab 1939 lebte er in New York und Santa Monica und wurde Mitbegründer der „Tribüne für freie deutsche Literatur und Kunst“ sowie des „Aurora Verlags“. Er hatte vielfältigen Umgang mit bedeutenden Exilanten, war sogar mit seiner Frau Salka oft Mittelpunkt ihrer Treffen, hatte nach eigenen Worten „am Lagerfeuer der Zukunft eine Stimme im Rate der vorwärts Gerichteten“.

1947 kehrte er zum zweiten Mal nach Europa zurück. Radioregiearbeiten für die BBC, Inszenierungen am Züricher Schauspielhaus, am Wiener Burg- und Akademietheater, sowie beim Berliner Ensemble Brechts bestimmten neben seiner lyrischen, essayistischen und autobiografischen Arbeit seine letzten Lebensjahre. Sein Leben mit den ständig wechselnden Exilstationen bilanzierend, schrieb er: „Ein einsamer Ton. Bruchstück einer Lebensmelodie, erklang und ging im Kriegslärm unter. Besinnung, die von der Tobsucht verschlungen wurde. Abende glänzten auf und Morgen. Abschiede vollzogen sich und immer wieder geschah ein Aufbruch und brach ab.“ Er war „Zeitgenosse der Umwälzung, an ihr vergehend“, und obwohl der Bruch, den ihm die Zeit zweier Weltkriege aufgezwungen hatte, brutal war, musste er ihn „als seine teuerste Erfahrung“ würdigen.

 

c) Franz Schubert und Berthold Viertel

 

Für Franz Schubert war die Geschichte eine Instanz ausgleichender Gerechtigkeit, für Künstler wie Berthold Viertel bisher nicht. Seine Gedichte zu vertonen, heißt auch, den Versuch zu unternehmen, sie endlich in ihr Recht zu setzen, eine große Lebensleistung der Vergessenheit zu entreißen. Es geht aber nicht nur um einen Akt historischer Wiedergutmachung, sondern um mehr: Um uns. Denn die Lebensgänge Schuberts und Viertels halten gerade für unsere Zeit so viel Exemplarisches hinsichtlich des gesellschaftlichen Umgangs mit dem Eigen- und Einzigartigen, dem Anders- und Fremdartigen bereit, dass eine wirkliche Kultur ohne Weiterdenken dieser Erfahrungen nicht möglich erscheint.

 

 

4. Zu den Interpreten

d) Uta Schwarzkopf (Sopran)

Geboren 1975, Studium der Schulmusik an der Universität Dortmund von 1996-1999,  mit dem Uni-Orchester und Mitgliedern des Unichores Mitwirkung bei Auszügen aus der West-Side Story (Maria).

1998 – 2002  1.Sopran im Boothechor des Musicals "Starlight Express", Bochum
2000 Studium an der Musikhochschule bei Kammersängerin Elisabeth Lachmann (Oper)
2002 - 2004 Meisterkurse bei Prof.Barbara Schlick und  Prof.Edith Wiens (Stipendium der Dörkenstiftung)
2002 - 2004 Engagements an der Oper Dortmund

als Pamina in "Die Zauberflöte für Kinder", W.A.Mozart
als Stasi in "Die Czardasfüstin", E.Kalman
als Aschenputtel in "La Cenerentola", E.Wolf-Ferrari
2002 als 4.Magd (Elektra, R:Stauss) unter Prof.Siegfried Köhler im Konzerthaus Dortmund
2004-2005 Engagement im Opernchor des Aaltotheaters, Essen (1.Sopran)
Ansonsten: rege Konzerttätigkeit, beispielsweise Liederabende mit dem Pianisten Michael Preiser.  Außerdem Engagements im Oratorienbereich, z.B. "Ein deutsches Requiem" (Brahms) und „ Messias“ (Händel) mit den Chören der Unis Münster und Bielefeld, "Elias" mit der Oberhessischen Kantorei, Auftritt  mit dem Dortmunder Kammerchor im Konzerthaus, 2004.

Dort wird Uta Schwarzkopf auch als Kunigunde in Bernsteins „Candide“ mit Chor und Orchester der Universität Dortmund im Februar 2006 zu sehen und zu hören sein.

 

e) Georg Poplutz (Tenor)

Geboren in Arnsberg, Schulmusik in Münster und von 1999 bis 2002 in Dortmund (dort u.a. Mitwirkung bei „Acis und Galathea“ und „Schumanns Schatten“), Gesangsunterricht bei Klaus Haffke, Franziska Heptner und Prof. Maria Friesenhausen.

Im Winter 2002/03 Aufnahme eines Gesangsstudium bei Prof. Berthold Possemeyer und Liedgestaltung und Interpretation bei Prof. Rainer Hoffmann und Prof. Eugen Wangler an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt/Main. Im Juli 2005 Abschluss der dortigen  künstlerischen Ausbildung, Vertiefung in Meisterkursen u.a. bei Christoph Prégardien, ab September 2005 Aufbaustudium zum Konzertexamen an der Musikhochschule Köln bei Prégardien.

Konzerte im Lied- und Oratorienfach in zahlreichen Städten Deutschlands, in Polen, Österreich, China und im Rahmen einer Konzertreise durch das Südliche Afrika.

Im Johann Rosenmüller Ensemble, Leipzig, unter Arno Paduch Erarbeitung von Musik des 17. und 18. Jahrhunderts für Konzert und Rundfunk. Zusammenarbeit mit den Dirigenten Christian Kabitz, Winfried Toll, Peter Neumann und Ralf Otto.

Seit 2003 Förderung durch "Yehudi Menuhin LiveMusicNow". 2004 Solistenempfehlung des VDKC (Verband Deutscher Konzert Chöre).

Im Frühjahr 2004 Mitwirkung als Solist in Mendelssohns „Walpurgisnacht“ im Rahmen von „Campus Cantat“ an der Universität Dortmund und im Sommer 2004 am Gießener Stadttheater in Monteverdis „L´Incoronazione di Poppea“. Im Frühjahr 2005 Engagement für zwei Produktionen an der Frankfurter Oper und im Herbst 2005 auf dem Bonner Beethovenfest für Méhuls „L´Irato“.

Im Februar 2006 wird sich Georg Poplutz in der Titelrolle von Bernsteins „Candide“ mit Chor und Orchester der Dortmunder Universität im Dortmunder Konzerthaus vorstellen.

 

f) Konstantin Kaiser (Rezitation)

geb. 1947 Innsbruck; Studium Jus, Psychologie,
Philosophie in Innsbruck und Wien, Engagement in der Studentenbewegung.
Dissertierte über Geschichtlichkeit und moderne Subjektivität bei Heinrich Heine.

Tätigkeiten als Bauarbeiter, Fremdenführer, Theaterstatist, Nachtportier, Galerieleiter, Verwaltungsbeamter.

Seit 1983 freier Schriftsteller und Literaturwissenschaftler. Mitgestalter und Koordinator von Ausstellungen über Theodor Kramer (1983), Kabarett und Satire im Widerstand (1985), Berthold Viertel (1989), Situation New York (1991), Elisabeth Bergner (1993). 1984 Mitbegründer der Theodor Kramer Gesellschaft (Wien). Seit 2002 Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Exilforschung. Veröffentlichte Essays, Gedichte und
Prosa u.a. in "Aufbau" (New York); "Salz", "Literatur und Kritik" (Salzburg); "Die Presse", "Wiener Tagebuch", "Falter", "Wespennest", "Aufrisse", "Das Fenster", "INN", "Föhn", "WochenZeitung" (Zürich).
Zusammen mit Siglinde Bolbecher Herausgeber von "Zwischenwelt. Zeitschrift für Kultur des Exils und des Widerstands" und der Buchreihe "Antifaschistische Literatur und Exilliteratur - Studien und Texte". Herausgeber, Mitherausgeber und Bearbeiter von Büchern von Frederick Brainin, Ray Eichenbaum, Leo Katz, Herbert Kuhner, Bil Spira, Stella
Rotenberg, Willy Verkauf, Berthold Viertel, Peter Heller, Claire Felsenburg, Stefan Pollatschek u.a.

Buchpublikationen: Theodor Kramer 1897 - 1958. Dichter im Exil (Wien 1984); Durchs Hinterland (Gedichte, Innsbruck 1993); Auf den Straßen gehen (Prosa, Innsbruck 1996);
"Vielleicht hab ich es leicht, weil schwer, gehabt" (zusammen mit Erwin Chvojka, Theodor Kramer-Lebenschronik, Wien 1997); Lexikon der österreichischen Exilliteratur (zusammen mit S. Bolbecher, Wien 2000); Das unsichtbare Kind (Essays und Kritiken, Wien 2001).   

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Programmfolge

Franz Schubert

Sinfonie h-moll, 1. Satz

 

1.     Orchester, Chor, Sopran und Tenor:

 

Lebensgang

 

Erdnähe, Sonnenferne

Ist unser Los.

Winzig sind uns die Sterne

Und New York [die Stadt] riesengroß.

 

Das Meer schmiegt sich uns in die Poren,

Wenn es zu Tropfen zerrinnt.

Wir haben den Weg verloren,

Den wir begannen als Kind.

 

Wir

 

Ich habe nachgedacht. Ich möchte zeigen,

Bevor ich gehe, dass uns mehr zu eigen

Als nur der Traum und nur der Tod.

Erklären möcht ich mit Geduld,

Dass uns noch immer mehr bedroht

Als unser Wahn und unsre Schuld.

 

Bevor ich gehe, will ich jeden

Mit meiner Seele überreden,

Dass ich und du und alle wir

Sind so gesellt und so gebunden,

Dass wir in diesem blutigen Dunste hier

Einander und die Welt gefunden.

 

Und was uns immer tiefer droht.

Ist mehr als Schuld und mehr als Tod.

Ist: dass wir uns verlieren.

Und dass wir sinken in der Welt,

Wo nichts uns mehr zusammenhält,

Tief unter allen Tieren.

 

Aus der „Winterreise“:

Irrlicht

Leiermann

 

2.    Orchester und Chor:

 An der Ausgestoßenen Tisch

 

An der Ausgestoßenen Tisch

Füllten wir die Gläser frisch.

Gaffer, Neider störten nicht,

Denn wir schlemmten Zuversicht.

Krähenfüße um den Mund

Tauchten wir im Wein gesund.

Geigen lockten den Gesang,

Herzen wagten einen Klang.

Sieh! Ein Vogel aus der Luft!

Sein Gefieder wehte Duft.

Goldner Vogel, wunderschön,

Will sich auf dem Tischtuch drehn.

Tänzelte und tanzte gar!

Alle Freude wurde klar.

Eins und zwei! Der Vogel wich,

Durch die Luft ein goldner Strich.

Schnell gekommen, schnell geschwunden,

 Hergeirrt und fortgefunden.

 

Aus der „Winterreise“:

Der stürmische Morgen

Die Wetterfahne

 

3. Orchester, Chor und Sopran:

 Der Wolken Sage

 

Der Wolken Weg und Schrift

Auf Himmels blauem Blatt,

Und wessen Silberstift

Sie hingeschrieben hat?

 

Sie haben keine Eile,

Sie schweben ohne Schwingen

Und langsam welche Zeile

Sie doch zustande bringen?

 

Wirf deinen Anker

Nicht nach der Tiefe des Erdenschlammes

Sondern nach der Höhe des Himmelblaus

Und dein Schifflein wird glücklich landen

Im Sturm*

 

Das wär' es wert gewesen

An diesem schönen Tage:

Nichts tun als nur zu lesen

Der Wolken Sage.

 

* Die kursiv gesetzten Zeilen sind ein Poesiealbumeintrag des Lyrikers Jakob van Hoddis (*1887 in Berlin, †1942 in einem Massenvernichtungslager in Polen)

 

 

Aus der „Winterreise“:

Fremd bin ich eingezogen

Der Wegweiser

 

4. Orchester und Chor:

In Schritt und Tritt

 

Tritt aufs Herz, tritt aufs Herz, tritt aufs Herz,

Deinem Feinde, dem Menschen, aufs Herz,

Seiner Ehr, seiner Würde aufs Herz,

Der Milde, der Gnade aufs Herz,

Dem Mitleid, dem Herzen aufs Herz,

Der Zartheit, dem Lächeln aufs Herz,

Der schüchternen Jugend aufs Herz,

Dem Glück des Verstehens aufs Herz,

Dem Wissen, der Wahrheit aufs Herz,

Dem sinnenden Antlitz aufs Herz,

Den Augen, der Stirne aufs Herz,

Der klassischen Dichtung aufs Herz,

Dem griechischen Drama aufs Herz,

Dem leidenden Christus aufs Herz,

Dem Recht der Verfolgten aufs Herz,

Weissagendem Alter aufs Herz,

Bescheidener Tugend aufs Herz,

Aufs Herz, aufs Herz, aufs Herz,

Dem Arbeiter mitten aufs Herz,

Den kleineren Völkern aufs Herz,

Tritt, tretender Stiefel, tritt,

In alles Weiche du tritt,

Auf Liebe, die lieben muss, tritt,

Aufs Geschlecht, auf die Niere tritt,

In Beete, in Blumen tritt, tritt,

In Bücher, auf Bilder tritt,

Auf Verse und Klänge tritt, tritt,

Auf Menschheitsverbrüderung tritt,

Auf Liebe, die lieben muss, tritt,

Auf Schonung, die wehren will, tritt,

Im Stechschritt stich und tritt,

Auf Narben, auf Wunden, du tritt,

Auf bittende Hände tritt,

Tritt aufs Herz, tritt aufs Herz, nur tritt!

 

- Pause -

 

 

 

 

Aus der „Winterreise“:

Gefrorene Tränen

 

5. Orchester und Tenor:

Tränen

 

Ihr Augen, ganz verweint,

da staunt ihr, dass die Sonne scheint.

 

Das hat bitterlich genagt,

das hat sich ausgeklagt.

 

Ihr rotgeätzten Wangen

Habt Tränen aufgefangen.

 

Nie war dieser Mund

So weich und rund.

 

Aus der „Winterreise“:

Der Lindenbaum

 

6. Orchester und Sopran:

Geschlossene Augen

 

Still -

Wenn die Große Hand,

Die glättende, glatt streichen will!

 

Nichts gekannt,

Nichts gedacht,

Nur Mildigkeit, nur diese Wohltat:

 

Hand.

Die sacht

Mich ausstreicht, allen Streit.

 

 

Franz Schubert

Sinfonie h-moll, 2. Satz

 

7. Orchester, Chor, Sopran und Tenor:

Mein Traum (Franz Schubert, 1822)

 

[Eingeklammerte Passagen nicht vertont]

Ich war ein Bruder vieler Brüder u. Schwestern. Unser Vater, u. unsere Mutter waren gut. Ich war allen mit tiefer Liebe zugethan. –

Einstmahls führte uns der Vater zu einem Lustgelage. Da wurden die Brüder sehr fröhlich. Ich aber war traurig.

Da trat mein Vater zu mir, u. befahl mir, die köstlichen Speisen zu genießen.

Ich aber konnte nicht,

worüber mein Vater erzürnend mich aus seinem Angesicht verbannte.

 

Ich wandte meine Schritte

und mit einem Herzen voll unendlicher Liebe für die,  welche sie verschmähten,

wanderte ich in ferne Gegend.

Jahre lang fühlte ich den größten Schmerz u. die größte Liebe mich zertheilen.

 

Da kam mir Kunde von meiner Mutter Tode.

Ich eilte sie zu sehen, u. mein Vater [von Trauer erweicht,]

hinderte meinen Eintritt nicht.

[Da sah ich ihre Leiche.] Thränen entflossen meinen Augen.

Wie die gute alte Vergangenheit

[,in der wir uns nach der Verstorbenen Meinung auch bewegen sollten, wie sie sich einst,] sah ich sie liegen.

[Und wir folgten ihrer Leiche in Trauer u. die Bahre versank. - Von dieser Zeit an blieb ich wieder zu Hause.]

Da führte mich mein Vater wieder einstmahls in seinen Lieblingsgarten.

Er fragte mich, ob er mir gefiele.

Doch mir war der Garten ganz widrig u. ich getraute mir nichts zu sagen.

Da fragte er mich zum zweytenmal erglühend: ob mir der Garten gefiele?

Ich verneinte es zitternd.

Da schlug mich mein Vater u. ich entfloh.

 

Und zum zweytenmal wandte ich meine Schritte,

u. mit einem Herzen voll unendlicher Liebe für die, welche sie verschmähten,

wanderte ich abermals in ferne Gegend.

Lieder sang ich nun lange lange Jahre.

Wollte ich Liebe singen, ward sie mir zum Schmerz.

Und wollte ich wieder Schmerz nur singen, ward er mir zur Liebe.

So zertheilte mich die Liebe und der Schmerz.

 

[Und] einst bekam ich Kunde von einer frommen Jungfrau, die [erst] gestorben war.

Und ein Kreis sich um ihr Grabmahl zog,

in dem viele Jünglinge u. Greise [auf ewig] wie in Seligkeiten wandelten.

[Sie sprachen leise, die Jungfrau nicht zu wecken. Himmlische Gedanken schienen immerwährend aus der Jungfrau Grabmahl auf die Jünglinge wie lichte Funken zu sprühen, welche sanftes Geräusch erregten.]

Da sehnte ich mich sehr auch da zu wandeln.

 

Doch nur ein Wunder, sagten die Leute, führt in den Kreis.

Ich aber trat langsamen Schrittes,

[innerer Andacht u. festem Glauben,] mit gesenktem Blicke auf das Grabmahl zu,

u. ehe ich es wähnte, war ich in dem Kreis, der einen wunderlieblichen Ton von sich gab; u. ich fühlte die ewige Seligkeit wie in einen Augenblick zusammengedrängt.

Auch meinen Vater sah ich versöhnt u. liebend.

Er schloß mich in seine Arme und weinte.

Noch mehr

aber ich.